Schmusen auf der Weide
Wenn Kühe dicke Freunde werden


Auch im Tierreich gibt es ernsthafte Freundschaften. Esel pflegen sich gegenseitig das Fell, Affen laden einander zum Essen ein - der Eingeladene bringt sogar Blumen mit. Wissenschaftler haben die Kameradschaft unter Tieren bislang offenbar unterschätzt.

Wenn zwei Schafböcke ausgiebig miteinander kuscheln, ist für den Hirten völlig klar: Die beiden sind beste Freunde und gehen zusammen durch dick und dünn. Verhaltensforscher dagegen taten sich lange Zeit sehr schwer damit, den Begriff "Freundschaft" auf Tiere anzuwenden. Damit projiziere man nur menschliche Eigenschaften auf ein Tier, und außerdem sei der Begriff überhaupt nicht genau definiert, so ihre Argumente.

Unterstützt wurden sie dabei von den Evolutionsbiologen, die Freundschaften unter Tieren ebenfalls für ausgeschlossen hielten. Ihrer Ansicht nach kennen Tiere nur einen einzigen Antrieb: die eigenen Gene weiterzugeben und sich möglichst erfolgreich fortzupflanzen. Die dazu verwendeten Strategien würden zwar manchmal für Sympathiebekundungen oder gar Freundschaftsbeweise gehalten, dienten aber letztendlich immer nur dem eigenen Vorteil.

Wenn sich eine Entenmutter beispielsweise um den Nachwuchs der Nachbarin kümmert, tut sie das nicht, weil sie diese mag und ihr Arbeit abnehmen möchte, sondern weil sie die Küken schlicht und einfach für die eigenen hält. Und wenn eine Vampirfledermaus zugunsten eines hungernden Artgenossen auf eine Mahlzeit verzichtet, dann nur deswegen, weil sie weiß, dass ihr der Beschenkte ebenfalls einen Gefallen erweist.

Mittlerweile gibt es jedoch Beobachtungen im Tierreich, die auch die nüchternsten Wissenschaftler nicht mehr mit dem Konzept der Selbsterhaltung erklären können, berichtet das Magazin "Bild der Wissenschaft". Dazu gehört beispielsweise das Schmusen unter Schafböcken. Das findet nämlich auch dort statt, wo es weit und breit keine Weibchen gibt, die es zu beeindrucken gilt. Kuscheln unter Schafskumpeln dient mit ziemlicher Sicherheit ausschließlich der Entspannung und dem Wohlbefinden - ein typisches Zeichen für eine Freundschaft.

Schafe sind jedoch bei weitem nicht die einzigen Tiere, die gerne mit ihren Freunden zusammen sind. Während ihrer Dissertation entdeckte die Marburger Biologin Anja Wasilewski auch unter Pferden, Eseln und Rindern Verhaltensweisen, die nur mit dem Begriff "freundschaftlich" beschrieben werden können. Pferdefreunde beispielsweise pflegen sich gegenseitig das Fell und bilden ganze Cliquen innerhalb einer Herde.

Esel und Rinder haben meist einen oder zwei enge Freunde und zusätzlich innerhalb der Herde eine Art lockeren, größeren Bekanntenkreis. Auch hier spielen die wechselseitige Fellpflege und gegenseitiges Beknabbern und Belecken eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der Freundschaften. Sogar Giraffen, ansonsten eher aggressive Einzelgänger, schließen Freundschaften mit Artgenossen. Mit diesen verbringen sie dann dreimal so viel Zeit wie mit nicht befreundeten Giraffen, entdeckte die Verhaltensforscherin Meredith Bashaw aus Atlanta.

Wer sich dabei mit wem anfreundet, wird wie beim Menschen häufig von gemeinsamen Interessen oder anderen Ähnlichkeiten bestimmt. Schafböcke mit Hörnern schließen beispielsweise häufiger Freundschaften mit Artgenossen, die ebenfalls Hörner tragen. Gleichaltrige Tiere werden häufiger Freunde als sehr junge und sehr alte, und auch zwei Neuankömmlinge einer Herde tun sich oft zusammen.

Komplizierter ist die Bewertung von Affenfreundschaften: Hier scheint es zwar auch freundschaftliche Gesten und Sympathien zwischen einzelnen Tieren zu geben, doch im Großen und Ganzen sind die Beziehungen eher Zweckgemeinschaften oder basieren auf dem Prinzip "Wie du mir, so ich dir". Allgemeine Gefälligkeitswährung ist dabei das Fellkraulen. Damit bringen beispielsweise ledige Äffinnen Affenmütter dazu, ihnen für kurze Zeit ihre Babys zum Kuscheln zu überlassen. Und Meerkatzen erkaufen sich genauso wie Makaken-Weibchen mit ausgiebigem Lausen Hilfe in Notlagen.

Hier finden sich laut "Bild der Wissenschaft" auch die größten Parallelen zu menschlichen Freundschaften. Besonders oberflächlichere Beziehungen ähneln den auf den Tauschgeschäften basierenden Affenbekanntschaften. So ist es beispielsweise selbstverständlich, zu einer Essenseinladung eines flüchtigen Bekannten einen Blumenstrauß mitzubringen oder sich mit einer Einladung für eine erwiesene Gefälligkeit erkenntlich zu zeigen. Bei engeren Freunden dagegen zählt eher die Langzeitbilanz, und man erwartet keine sofortige Gegenleistung für einen Gefallen.

Diese Unterscheidung gibt es übrigens bei Schimpansen auch: Während sie ihr Essen nur dann mit flüchtigen Bekannten teilen, wenn diese ihnen kurz zuvor das Fell gekrault haben, machen sie bei langjährigen Laus-Freunden eine Ausnahme. Die bekommen auch dann etwas ab, wenn die letzte Kraul-Episode schon eine Weile her ist.

Ilka Lehnen-Beyel, ddp

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