Verhaltensforschung
Bruder Affe ist manchmal schlauer


Junge Schimpansen stellen sich mitunter cleverer an als ihre menschlichen Altersgenossen. Das hat die britische Zoologin Victoria Horner jetzt bei Versuchen auf Ngamba Island im Victoriasee bestätigt gefunden. Während die Affen rational vorgingen, äfften die Kinder lediglich die Erwachsenen nach.

Die Forscherin stellte den Affen eine präparierte Futterbox hin. Horner stocherte mit einem Stock zunächst durch eine obere Öffnung darin herum, dann von der Seite - wodurch die Nahrung zu Tage gefördert wurde. Bei einer zweiten Primatengruppe hingegen war die Testbox durchsichtig; diese Tiere konnten deshalb erkennen, dass der Einsatz eines Stocks in der oberen Öffnung gar nichts bewirkte.

In diesem Fall durchschauten die Schimpansen den Trick und verzichteten beim Nachahmen auf das Herumstochern von oben. Ganz anders verhielten sich Kleinkinder, mit denen Horner den Versuch wiederholte. Die Dreijährigen stocherten gutgläubig in der falschen Öffnung der Box herum, obwohl auch sie hätten sehen können, dass sie nur gefoppt werden.

"Die Schimpansen scheinen sich bei diesem Versuch scharfsinniger zu verhalten", kommentiert die Forscherin von der University of St. Andrews in Schottland. Zur Ehrenrettung des Menschengeschlechts fällt der Forscherin ein: Kleinkinder seien kulturell so geprägt, dass sie Erwachsenen zunächst einmal einen vernünftigen Grund für ihr Handeln unterstellen.

Die Versuche mit den Schimpansen wurden auf der Insel Ngamba im Victoriasee angestellt. Die etwa 40 Hektar große, 23 Kilometer südöstlich von Entebbe gelegene Insel dient seit 1997 als Auffangstation für Schimpansenwaisen. Sie soll den von der Nachbarrepublik Kongo nach Uganda geschmuggelten und von den Behörden konfiszierten Schimpansenbabys ein neues Zuhause geben und ihnen ein möglichst "naturnahes" Leben ermöglichen. Schimpansen können nicht ausgewildert werden, da sie von ihren wilden Artgenossen nicht akzeptiert würden. Dutzende Tiere leben hier, doch die Insel wird längst zu klein.

Primatologen und Genetiker haben in den vergangenen Jahren immer wieder Hinweise für eine unerwartet hohe Intelligenz, nicht nur, aber besonders bei Menschenaffen gefunden. Die Liste der Eigenschaften, die den Menschen von seinem nächsten Verwandten, dem Schimpansen unterscheiden, wird immer kürzer. So stellte der Primatologe Christophe Boesch vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie fest, dass Schimpansen verschiedene Kulturen besitzen. Dass die Affen, deren Erbmaterial zu fast 99 Prozent mit dem ihrer haarlosen Vetter identisch ist, Werkzeuge benutzen und Kriege führen, entdeckte bereits die berühmte Schimpansenforscherin Jane Goodall in den sechziger und siebziger Jahren. Selbst eine rudimentäre Sprachfähigkeit machte man bei den Tieren aus.

© SPIEGEL ONLINE 2005